Afrikanische Schweinepest, Bornavirus, West-Nil-Virus: Neben SARS-CoV-2 bedrohen eine Reihe weiterer Krankheitserreger Mitteleuropa. Wann und warum überspringen einige dieser neuen Viren die Tier-Mensch-Grenze?
Harald Lesch verfolgt die Wege der neuen Viren, wie sie sich ausbreiten, wie gefährlich sie sind, und mit welchen Methoden man versucht, den neuen Viren Herr zu werden. Denn eines ist sicher: Wir müssen mit den Viren der Welt leben.
Das Afrikanische Schweinepest-Virus ist ein DNA-Virus aus der Familie der Asfarviridae. Sein Ursprung liegt im südlichen Afrika. Dort wird das Virus von einer bestimmten Zeckenart auf Warzen- und Buschschweine übertragen und von diesen auch auf Hausschweine. Die Schweine infizieren sich durch direkten Kontakt: sowohl über die Atemwege als auch über Blut. In Afrika erkranken die Warzen- und Buschschweine – wenn überhaupt – nur leicht. Ihr Immunsystem ist an den Erreger angepasst. Doch dem Immunsystem der eurasischen Schweine ist der Erreger „unbekannt“: Ist ein Tier infiziert, stirbt es deshalb in nahezu 100 Prozent der Fälle.
Die Reise beginnt 2007. Ein Frachtschiff aus Ostafrika fährt nach Georgien. In der Hafenstadt Poti entlädt das Schiff seine afrikanischen Speiseabfälle auf einer ungesicherten Müllhalde – mit Viren als „blinden Passagieren“. Kurze Zeit später häufen sich in der Region schwere Erkrankungen bei Hausschweinen, bald darauf auch bei Wildschweinen. Die Seuche verbreitet sich über Russland und die baltischen Staaten Richtung Westen. Spätestens als Ende 2019 die ersten Fälle im Westen Polens auftreten, ist man in Deutschland alarmiert.
Wahrscheinlich hat der Mensch bei der Ausbreitung eine entscheidende Rolle gespielt, obwohl das Virus auf uns nicht übertragbar ist und so auch keine Gefahr für unsere Gesundheit darstellt. Die Vermutung der Forschenden: Das Virus ist mit dem Essen gereist. Denn auch in verarbeitetem Schweinefleisch bleibt es monatelang infektiös. Wildschweine sind Allesfresser, auch Fleischabfälle verschmähen sie nicht. Tatsächlich ereignen sich auffällig viele Ausbrüche der Seuche entlang von überregionalen Straßen – dort, wo viele Essensreste weggeworfen werden.
Im September 2020 erreicht die Afrikanische Schweinepest Brandenburg, Ende Oktober dann auch Sachsen. Das Virus ist in Deutschland angekommen.
Noch grassiert das Virus ausschließlich unter Wildschweinen, Hausschweine sind in Deutschland noch nicht betroffen. Das Problem: Seit Jahren sind die Zahlen der Wildschweinpopulationen auf einem Rekordhoch. Ideale Verbreitungsbedingungen für das Virus. Die Behörden setzen daher vor allem auf das Ausdünnen der Wildschweinpopulationen.
Eine entscheidende Rolle bei der Ausbreitung spielen auch die Kadaver verendeter infizierter Wildschweine. Denn bisherige Studien haben gezeigt, dass das ASP-Virus bis zu einem Jahr in einem verendeten Wildschwein virulent ist. Tote Tiere bergen daher noch immer ein hohes Infektionsrisiko.
Stoppen wird die Afrikanische Schweinepest erst ein Impfstoff. Doch bisher verlief die Suche ergebnislos. Das Virus ist komplex – und ein Meister darin, das Immunsystem seines Wirts zu manipulieren und zu umgehen. Die Forschenden am Friedrich-Löffler-Institut setzen nun auf eine neue Strategie: auf gentechnisch veränderte ASP-Viren. Die ersten Ergebnisse stimmen zuversichtlich: Die meisten der geimpften Schweine zeigen keine Krankheitssymptome. Bis es einen wirksamen Impfstoff für Haus- und Wildschweine gibt, wird es allerdings noch dauern. Aber die ersten Schritte sind getan.
Eine Erkrankung mit Todesfolge: Die Betroffenen haben eine plötzliche, heftige Gehirnentzündung, fallen ins Koma und versterben kurz darauf. Der Krankheitsverlauf ungeklärter Todesfälle in Deutschland erinnert Forschende an die Wirkung des Borna Disease Virus 1 bei Tieren. Das Virus infiziert vor allem Pferde und Schafe. Für Menschen galt das Borna-Virus hingegen als ungefährlich. Seit einigen Jahren ist bekannt, dass das eigentliche Reservoir des Virus die Feld-Spitzmaus ist.
Spitzmäuse, die das Virus in sich tragen, kommen in Deutschland vor allem in Bayern, Thüringen und Brandenburg vor. Und in genau diesen Gegenden ereigneten sich auch die dokumentierten ungeklärten Todesfälle. In Gewebeproben von 14 Verstorbenen können Forschende schließlich das Borna-Virus nachweisen.
Eine Studie am Friedrich-Löffler-Institut soll klären, wie das Virus von der Spitzmaus auf den Mensch überspringen konnte. Die Forschenden vergleichen das Erbgut der Viren aus der Spitzmaus mit dem von Viren, die man aus dem Gewebe von Verstorbenen gewonnen hat. Es zeigt sich: Die untersuchte Feld-Spitzmaus war positiv. Und nicht nur das: Der Virus-Typ ist auch derselbe, der bei den 14 Verstorbenen zum Tod geführt hat. Das heißt, das Virus konnte immer schon auf den Menschen überspringen. Man hatte schlichtweg nicht gewusst, dass auch Menschen sich mit dem Borna-Virus infizieren können.
SARS-CoV-2, ein RNA-Virus aus der Familie der Corona-Viren, stammt sehr wahrscheinlich von einer Fledermausart – vermutlich sprang es über einen Zwischenwirt auf den Menschen über. Aber: Gibt es auch einen Weg zurück? Kann das Virus vom Menschen auf Tiere überspringen?
Man weiß, bei Katzen ist das möglich. Aber man weiß auch, dass Katzen umgekehrt für Menschen keine Gefahr darstellen. Schweine dagegen können sich nicht mit dem neuen Coronavirus anstecken. Und Rinder?
Es gibt fast eine Milliarde Rinder auf der Welt, und oft haben sie engen Kontakt zu Menschen. Können sich Rinder mit dem neuen Coronavirus infizieren? Und womöglich das Virus an Menschen weitergeben? Die Forschenden vom Friedrich-Löffler-Institut wollen herausfinden, wie groß das Risiko ist: Sechs Rinder werden über die Nasenschleimhaut mit dem Virus in Kontakt gebracht. Nach einer Inkubationszeit wird sich herausstellen, ob sich das Virus vermehrt hat und ob die Tiere Krankheitssymptome zeigen. Das Ergebnis: In zwei der sechs Rinder hat sich das Virus tatsächlich vermehrt und Antikörper haben sich gebildet. Allerdings: Die Virusvermehrung in den infizierten Rindern ist nur gering, sodass das Forscherteam kein Risiko für Menschen sieht. Ein Grund zum Aufatmen. Aber es bleibt eine Momentaufnahme. Die Forschenden werden weiter wachsam sein, denn niemand kann vorhersagen, wie sich das Virus in Zukunft noch verändert.
Das West-Nil-Virus stammt aus Afrika. Überträger sind in der Regel Stechmücken. In den letzten Jahren hat es sich von Südeuropa aus immer weiter Richtung Mitteleuropa ausgebreitet - meist durch infizierte Zugvögel. In Deutschland erkrankten bisher nur Reisende, die aus den Tropen kamen am West-Nil-Fieber. Inzwischen aber infizierten sich auch Menschen in Berlin und Sachsen mit dem Virus. Wie kommt es, dass ein tropischer Erreger auf einmal in Deutschland heimisch wird?
Die Insektenexperten Helge Kampen und Mandy Schäfer sammeln Stechmücken in Insektenfallen. Ihr besonderes Interesse gilt der Asiatischen Tigermücke. Sie kann über 20 teils gefährliche Viren übertragen, darunter das Dengue-, das Chikungunya- und das Zika-Virus. Und eben auch das West-Nil-Virus. Die wärmeliebende Mückenart wird durch wärmere Sommer und milde Winter inzwischen auch in Deutschland heimisch. Doch in Berlin und Leipzig gibt es keine Populationen der Asiatischen Tigermücke. Allerdings, so fanden Forschende jetzt heraus, wird das West-Nil-Virus auch von einer anderen Mücken-Art effektiv übertragen: von der meistverbreiteten heimischen Art, der Gemeinen Stechmücke! Der Grund: Das Virus ist für die heimische Mücke nicht fremd. Denn die Gemeine Stechmücke kommt auch in Afrika vor – sie und das West-Nil-Virus sind „alte Bekannte“. Nur bei uns kamen sie zuvor noch nicht zusammen. Doch jetzt ist genau das geschehen – begünstigt durch wärmere Temperaturen. Klar ist: Wenn es bei uns wärmer wird, werden sich auch neue Krankheitserreger ausbreiten – auf welchem Weg auch immer sie zu uns kommen …