Die Vorstellung, der Kosmos könne unendlich sein, sprengt die Grenzen unseres Denkens. Selbst in der Wissenschaft galt Unendlichkeit lange als undenkbar. Wer sie dennoch zu denken wagte, spielte mit seinem Leben. Doch der Lockruf des Unbekannten lässt uns nicht los. Lassen sich die Weiten des Kosmos vermessen? Können wir gar den Rand erblicken?
Nur wenige von Menschen gebaute Objekte stießen bisher so weit ins All vor wie die Sonden Voyager 1 und 2: Die Zwillingssonden haben den interstellaren Raum erreicht und senden noch immer regelmäßig Daten zur Erde. Diese weite Reise hatten die Entwickler selbst nicht vorgesehen. Im Spätsommer 1977 starteten beide Voyager-Sonden. Um möglichst viele Daten im Planetensystem zu gewinnen, lenkte man sie auf verschiedene Routen. Voyager 2 wurde in Richtung Jupiter und dann zu den weiter entfernten Planeten dirigiert, ausgestattet mit den besten verfügbaren Kameras. Die hochaufgelösten Bilder von Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun übertrafen die Erwartungen der Forscher und enthüllten hochinteressante Details. 1989 erreichte Voyager 2 Neptun, rund 4,5 Milliarden Kilometer von der Erde entfernt – Höhepunkt der Mission.
Doch Voyager 2 reiste weiter – mit abgeschalteter Kamera. Seine Messinstrumente lieferten auch jenseits des Planetensystems Hinweise für die Forscher: Der Sonnenwind, ein Strom aus elektrisch geladenen Teilchen, ist Milliarden Kilometer von der Erde entfernt noch messbar. Die Reichweite dieser Sonnenteilchen beschreibt die Heliosphäre. Das Ziel der Forscher: mithilfe Voyagers Teilchendetektoren herausfinden, wie groß dieser vom Sonnenwind beeinflusste Raum ist. Ende 2018 zeigten die Messinstrumente einen abrupten, radikalen Abfall der Sonnenwindteilchen. Der Beweis für die Forscher, dass die Grenze der Heliosphäre erreicht war. Fast 17 Milliarden Kilometer von der Sonne entfernt trat der Späher in den interstellaren Raum. Die Heliosphäre stellte sich somit als sehr viel größer heraus, als die Forscher ursprünglich angenommen hatten. Nun sind die technischen Möglichkeiten aber bald ausgereizt, die Stromversorgung wird in den nächsten Jahren versiegen und der Kontakt zur Erde damit enden. Die Voyagers werden zwar weiterfliegen, in circa 30.000 Jahren in den Einflussbereich des nächsten Sterns gelangen – doch wir werden davon nichts mehr mitbekommen.
Bereits im antiken Griechenland versuchte man sich ein Bild von der gesamten Welt zu machen. Den Gelehrten jener Zeit genügte es nicht, die Welt mythologisch oder religiös zu deuten. Der Geograf und Astronom Eratosthenes von Kyrene berechnete vor über 2200 Jahren den Umfang der Erde – ohne sie zu bereisen, allein durch aufmerksames und systematisches Beobachten: Er wusste, dass an zwei Orten im heutigen Ägypten, Alexandria an der Mittelmeerküste und dem knapp 800 Kilometer weiter südlich gelegenen Syene, die Sonne fast zeitgleich ihren Höchststand erreicht. In Syene spiegelt sich die Sonne bei Höchststand am Tag der Sommersonnenwende in einem Brunnen, ihre Strahlen fallen fast senkrecht zur Erde, Objekte werfen dann kaum Schatten. Am gleichen Tag lassen sich in Alexandria – auch bei Sonnenhöchststand – deutlich längere Schatten beobachten. Allein die unterschiedlichen Schattenlängen und die Entfernung zwischen den beiden Orten genügten Eratosthenes für die Berechnung: Da die Sonnenstrahlen (fast) parallel auf die Erde treffen, konnte er in Alexandria den Einfallswinkel der Sonne bestimmen. Dieser Winkel entspricht dem Winkel, der bei Verlängerung der Achsen zwischen beiden Städten im Erdmittelpunkt entsteht. Und dieser Winkel passt genau fünfzigmal in einen Vollkreis. Aus dem 50-fachen der Strecke Alexandria-Syene errechnete der Grieche den Erdumfang erstaunlich genau: fast 40.000 Kilometer.
Im 16. Jahrhundert waren Klöster und kirchliche Universitäten die wichtigsten Bildungsstätten und besaßen das Monopol der Wissensvermittlung. Im damaligen kirchlichen Weltbild liegt die Erde, Gottes wichtigste Schöpfung, im Zentrum von allem. Alle Himmelskörper – alle Planeten und auch die Sonne und die Sterne – kreisen auf kristallenen Sphären um sie herum. Die Sphäre der Sterne bildet die letzte Grenze der Welt, dahinter liegt nur noch der göttliche Himmel. Der Priester Giordano Bruno konnte dieses Weltbild jedoch nicht akzeptieren: Für ihn war ein grenzenloses Universum das einzige, das einem allmächtigen Gott zustand.
Der junge Giordano Bruno war 1565 in den Dominikanerorden in Neapel eingetreten. Schon als Novize war er eigensinnig und verbannte Heiligenbilder aus seiner Klosterzelle. Wenige Jahre nach seiner Priesterweihe wurde er zum ersten Mal der Ketzerei angeklagt und musste aus Italien fliehen. Fortan reiste er durch Europa auf der Suche nach einer geistigen Heimat für seine Ideen. Nie blieb er länger als ein paar Jahre an einem Ort, ständig eckte er an. Er studierte alle philosophischen und wissenschaftlichen Theorien über den Kosmos. So gewann er Ansehen unter den Gelehrten Europas, bekam Lehraufträge und fand immer wieder Förderer. Als er bei einem Gönner in London lebte, brachte er seine Ideen schließlich zu Papier. In seiner Vorstellung ist die Sonne nur ein Stern unter unendlich vielen, und es existieren unzählige andere Welten. Wohl von Heimweh gepackt, kehrte Bruno 1591 nach Italien zurück – und geriet in die Fänge der Inquisition. Aber selbst acht Jahre Gefangenschaft und Folter konnten Bruno nicht umstimmen: Nur ein unendliches Universum konnte einem allmächtigen Gott gerecht werden. Brunos Weigerung, seinem „Irrglauben“ abzuschwören, brachte ihn schließlich auf den Scheiterhaufen.
Giordano Bruno hatte für seine Idee eines unendlichen Universums nicht nur theologische, sondern auch naturwissenschaftliche Gründe: Der angesehene englische Astronom Thomas Digges hatte nur wenige Jahre zuvor seine Überlegungen zum Weltbild veröffentlicht. Unter Gelehrten kursierte damals eine neue Idee: Demnach lag im Zentrum des Universums nicht die Erde, sondern die Sonne. Dass die Erde damit keine Sonderstellung mehr einnahm, war allein noch kein Grund, an der Begrenztheit des Alls zu zweifeln. Die Kristallsphären konnten sich ja auch um die Sonne drehen. Aber es gab weitere Widersprüche zum traditionellen Weltbild. Die Unveränderlichkeit der göttlichen Sphären wurde durch einen neuen Stern, der überraschend erschienen war, infrage gestellt.
Ein weiteres Indiz waren Kometen. Genaue Beobachtungen zeigten, dass sie keine erdnahen Erscheinungen waren, sondern von weit draußen kommen mussten. Sie hätten demnach die Sphären durchschlagen müssen. Hinzu kam: Solange die Erde im Zentrum stillstand, konnte man die Bewegung der Sterne am Nachthimmel nur durch die Drehung ihrer Sphäre erklären. Doch wenn sich die Erde selbst bewegt, können die Sterne stillstehen – sie brauchen keine Sphäre mehr. Mit diesen Überlegungen sprengten die Astronomen jener Zeit die göttlichen Kristallsphären. Sie erkannten: Dem Augenschein zum Trotz stehen die Sterne still, ihre Bewegung entsteht durch die Drehung der Erde. Und wenn die Sterne stillstehen und keine Sphäre benötigen, so die Folgerung von Thomas Digges, kann sich der Sternenhimmel jenseits der Planetenbahnen ins Unendliche erstrecken.
Mit modernen Teleskopen vermessen wir den Kosmos immer genauer. Das bekannteste von ihnen, das Hubble-Weltraumteleskop, prägt seit 30 Jahren mit seinen Aufnahmen unser Bild vom Universum. Mit keinem anderen optischen Teleskop haben wie je tiefer ins All geblickt. Schon mit Teleskopen auf der Erde können wir um ein Vielfaches weiter blicken als mit bloßem Auge, denn ihre Spiegel sammeln tausendfach mehr Licht ein als unsere Augen. Doch erdgebundene optische Teleskope haben einen entscheidenden Nachteil: Der Blick wird durch die Atmosphäre getrübt. Deshalb wurde das Hubble-Teleskop am 24. April 1990 an Bord eines Space Shuttles in den Weltraum auf eine Umlaufbahn in über 500 Kilometer Höhe gebracht. Doch zunächst erfüllte es die Erwartungen nicht. Aufgrund eines Spiegelfehlers waren alle Bilder unscharf. Erst eine Korrekturoptik, die Astronauten drei Jahre nach dem Start anbrachten, konnte das Problem beheben. Seitdem liefert Hubble Bilder aus den Tiefen des Alls – von kosmischen Staubwolken, Überresten einstiger Sternexplosionen und Galaxien, die zuvor kaum erkennbar waren.
Hubble sollte auch die Grenze des Sichtbaren ausloten. Diese Grenze wird dadurch bestimmt, dass das Licht Zeit braucht, um zu uns zu reisen. Das Licht der Sonne braucht etwa acht Minuten bis zu uns, das Licht unserer Nachbargalaxie Andromeda bereits 2,5 Millionen Jahre. Was wir von ihr sehen, liegt also schon sehr lange zurück. Je tiefer wir blicken, desto tiefer in die Vergangenheit blicken wir auch. Das Universum ist aber nicht unendlich alt. Es entstand einst mit dem Urknall. Wir können also höchstens so weit sehen, wie das Universum alt ist – 13,8 Milliarden Jahre. Um mit Hubbles Hilfe diese Grenze zu „erspähen“, wurde das Teleskop 2002 mit einer neuen, noch besseren Kamera aufgerüstet. Nach über 300 Stunden Ausrichtung auf eine dunkle Stelle im Universum nahm Hubble ein Bild der ältesten und damit am weitesten entfernten je beobachteten Galaxie auf: GN-z11. Ihr Licht stammt aus der Frühzeit des Kosmos. 2009 wurde Hubble ein letztes Mal gewartet. Weitere Missionen sind nicht geplant, seine technischen Möglichkeiten sind ausgereizt. Doch Hubble wird für immer das erste optische Teleskop bleiben, das uns den Blick bis an den Rand des beobachtbaren Universums ermöglicht hat.
Faszination Universum: Reise zum Rand der Welt
Erstausstrahlung ZDF: 20. September 2020, 19.30 Uhr
Autorinnen Hanna Kotarba, Christine Haak
Sprecher Tobias Kluckert
Redaktion TV Christiane Götz-Sobel
Redaktion Online Katja Treu
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Faszination Universum: Im Sog des Schwarzen Lochs